Dezember 2014 – das politische Berlin ist tief erschüttert. Der CDU-Außenpolitiker Dr. Andreas Schockenhoff ist tot, gestorben in seiner Heimatstadt Ravensburg. „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verliert mit ihm einen ihrer profiliertesten Politiker, ganz viele von uns auch einen guten Freund und engen Weggefährten“, sagte der damalige Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Seit 2005 war Schockenhoff sein Stellvertreter im Fraktionsvorsitz gewesen.
Das Requiem in Berlin hielt der Theologieprofessor Dr. Eberhard Schockenhoff, der ältere Bruder von Andreas Schockenhoff. „Auch politische Gegner und Konkurrenten waren beim Requiem in Berlin dabei. Das hat mich tief bewegt“, erinnert sich Eberhard Schockenhoff später. „In der Familie ist uns eigentlich erst durch die Nachrufe und Beileidsschreiben deutlich geworden, welche Wertschätzung in der Politik möglich ist“. Der ausgewiesene Frankreich- und Russland-Experte wurde von Fraktionskollegen als „einer der besten, angenehmsten, analytischsten und erfahrensten Außenpolitiker“ geschätzt – Politiker wie Journalisten loben bis heute seine „uneitle Art und sein ruhiges, aber immer überzeugtes Auftreten“.
Dr. Andreas Schockenhoff ist am 23. Februar 1957 in Ludwigsburg geboren worden, wo er auch seine Kindheit und Jugend verbringt. Nach dem Abitur studierte er in Tübingen Romanistik, Germanistik und Geschichte. Nach Abschluss des Studiums zog es ihn zunächst in den Schuldienst. Die Lehrerausbildung war es, die ihn 1982 ins oberschwäbische Ravensburg führte. Im gleichen Jahr wird er Mitglied der CDU. Nach dem Referendariat schloss er 1985 seine Promotion in Romanistik ab. Von 1985 bis 1990 unterrichtete er die Fächer Französisch und Deutsch am Freien Katholischen Gymnasium im Bildungszentrum St. Konrad in Ravensburg.
Oberschwaben und das Allgäu wurde ihm zur Heimat. Die ländlich geprägte und doch wirtschaftlich erfolgreiche Region im äußersten Süden Deutschlands lag ihm Zeit seines Lebens am Herzen. Die anmutige, von sanften Hügeln und barocken Kirchtürmen durchzogene Landschaft in der Nähe des Bodensees bildete einen Kontrast zum geschäftigen Treiben der Hauptstädte Bonn und später Berlin.
Im Jahr der Wiedervereinigung, 1990, zog Andreas Schockenhoff mit 33 Jahren als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Bodensee–Ravensburg in den Deutschen Bundestag ein. Als Abgeordneter galt die Leidenschaft des engagierten Europäers der Außenpolitik, seit 2005 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für die Bereiche Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik.
Die deutsch–französische Freundschaft war dem promovierten Romanisten ein besonderes Anliegen. Von 1994 an führt er die deutsch–französische Parlamentariergruppe und war in Frankreich über zwei Jahrzehnte einer der bekanntesten deutschen Politiker.
Doch seinen Blick richtete Andreas Schockenhoff nicht nur nach Westen. Ein zweiter, aber auch kritischerer Blick ging nach Osten – nach Osteuropa und nach Russland. Von 2006 bis zum Regierungswechsel 2013 war er für die Bundesregierung als Koordinator für die deutsch–russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit tätig. Ziel der Arbeit des „Russland-Koordinators” ist es, gute und belastbare Beziehungen zwischen den Menschen in Russland und Deutschland zu fördern. So verstand er es, Russland als Ganzes in den Blick zu nehmen und sich im Land insbesondere auch mit Bürgerinitiativen, Menschenrechtlern und Nichtregierungsorganisationen zu treffen. Er beklagte die mangelhafte Unabhängigkeit der Justiz und nahm gegenüber der russischen Führung eine immer kritischere Haltung ein. Im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland fühlte sich Schockenhoff tragisch bestätigt und hielt auch mit offener Kritik am russischen Präsidenten Putin nicht hinterm Berg. Das brachte ihm seinerseits Kritik ein – und zwar nicht nur von Seiten der russischen Führung, sondern auch aus den Reihen deutscher Politiker und Diplomaten. Doch davon ließ sich nicht beirren. „Fest und unbeugsam“ nannte ihn die Grünen-Politikerin Marieluise Beck in dieser Zeit.
Das stellte Andreas Schockenhoff auch in einer seiner schwersten persönlichen Krisen unter Beweis, als er nicht nur als Politiker, sondern als Mensch, in der Kritik stand. 2011 fuhr er alkoholisiert nach einem Festbesuch ein parkendes Auto an.
Anstatt sich zu verstecken, wagte er den Schritt an die Öffentlichkeit. Offen sprach er darüber, wie sehr ihn der Krebstod seiner ersten Frau getroffen hatte und wie schwer es für ihn als Vater von drei Kindern ist, Politik und Familie unter einen Hut zu bekommen. Für dieses persönliche Bekenntnis erntete er Anerkennung und Respekt. Schockenhoff begab sich in Therapie und gewann 2013 zum siebenten Mal in Folge das Direktmandat in seinem Wahlkreis.
Als „selbstbewussten Katholiken“, der eine „unzerstörbare Glaubenskraft“ hatte, bezeichnete ihn sein Bruder Eberhard Schockenhoff einmal. Der katholische Glaube war für Andreas Schockenhoff mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Bis zu seinem Tod nahm er als aktiver Blutreiter jedes Jahr am „Blutritt“ in Weingarten teil, der größten Reiterprozession Europas.
Am 13. Dezember 2014 starb Dr. Andreas Schockenhoff überraschend in seinem Haus in Ravensburg. Er wurde 57 Jahre alt.